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5 011

Freitag, 17. Oktober 2025, 18:07

Nach der Sommerpause – Fortsetzung meines Bauberichts
Die Tage werden kürzer, draußen wird es ruhiger – und mit dem Herbst kehrt auch die Lust am Modellbau zurück. Nach einer kleinen schöpferischen Pause möchte ich demnächst wieder an meiner französischen Korvette La Créole weiterarbeiten.
Als Einstieg habe ich mich aktuell mit der Klärung, insbesondere der Belegstellen im Vorschiff beschäftigt, um die Takelage der Fockrah sowie des Klüver- und Außenklüverbaums abschließen zu können. In diesem Zusammenhang sind zwei Darstellungen (Grundlagen: Bildausschnitte Originalmodell/Ausschnitt Monographie J. Boudriot) entstanden, die ich hier zeigen möchte.




Sie sind noch nicht vollständig, dienen aber als Basis für die weitere Ausarbeitung und sollen zugleich einen Einblick in die notwendigen Recherchen geben, die diesem Abschnitt vorausgingen.
Die Erarbeitung dieser Details hat einmal mehr gezeigt, wie vielschichtig und spannend die Auseinandersetzung mit historischen Quellen, technischen Zeichnungen und zeitgenössischen Modellen sein kann – und wie sehr sie zur Lebendigkeit eines solchen Projekts beiträgt.

Völlig unklar ist mir noch z. B. die Führung der Großsegelbulins, wie in der Monographie von J. Boudriot dargestellt. Die dort gezeigte Führung der Großsegelbulins erfolgt über das Vorschiff – eine Lösung, die mir bislang so nicht bekannt war. Nach meinem bisherigen Verständnis – und auch nach Sichtung zeitgenössischer Modelle – werden die Bulins üblicherweise achtern des Fockmastes belegt.
Die Führung über das Vorschiff erscheint mir nicht nur ungewöhnlich, sondern auch technisch problematisch, da sie potenziell mit der Fock kollidieren würde. Insofern bleibt dieser Punkt für mich noch offen und bedarf weiterer Recherche.

Ich freue mich auf den Austausch mit euch und bin gespannt auf eure Gedanken und Hinweise zu den gezeigten Skizzen.

5 012

Samstag, 18. Oktober 2025, 08:30

Hallo Johann,
schön, dass es weitergeht. Deine Recherche selber ist schon spannend. Allerdings kam bei mir jetzt fogende Frage auf: Was machst du, wenn Quellen sich widersprechen, wenn z.B. ein bestimmter Teil der Tagelage bei Quelle A beschrieben ist, ein anderer Teil bei Quelle B, sich aber in einem anderen Teil genau diese beiden Quellen widersprechen? Wäre es nicht sinnvoll, so weit als nur irgendwie möglich sich an einer Quelle zu orientieren und nach der zu bauen, mit dem Risiko dass vieleicht eine ungenaue Darstellung zu einer Fehlinterpretation führt, aber das Modell dann in sich stimmig ist?

Ich hoffe, ich konnte meine Frage genau genug rüber bringen...

Gruß Stefan
Die Intelligenz auf einem Planeten ist eine Konstante. Nur die Zahl der Bevölkerung wächst!

Jean-Luc Picard

5 013

Samstag, 18. Oktober 2025, 09:10

Mahlzeit!

Dieser Baubericht zählt zu denjenigen, die, wenn länger nichts gepostet wurde, bei mir ein unbestimmtes Gefühl der Unvollständigkeit erzeugen..
Schön, dass es weitergeht.
Ein guter Rat des Vaters an den Sohn:
Halte stets mit allem Maß-mit dem Essen,dem Trinken und dem Arbeiten.Vor allem mit dem Arbeiten.
-Otto von Bismarck

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5 014

Samstag, 18. Oktober 2025, 13:31

Hallo Stefan,
vielen Dank für deine Frage – sie trifft einen Punkt, der mich bei der Recherche und Umsetzung immer wieder beschäftigt.

Wenn sich Quellen widersprechen, bleibt mir letztlich nichts anderes übrig, als eine Entscheidung zu treffen, wie ich die betreffende Ausführung gestalte. Ein erfahrener und sehr belesener Modellbauer hat einmal sinngemäß gesagt: „Im Zweifel sollte man sich eher auf zeitgenössische Quellen stützen – sofern solche überhaupt auffindbar sind.“ Denn gerade bei modernen Darstellungen besteht die Gefahr, dass Interpretationen oder Vereinfachungen eingeflossen sind, die vom historischen Original abweichen.

Natürlich gibt es selten, wenn überhaupt, eine hundertprozentige Sicherheit, ob eine Ausführung tatsächlich historisch korrekt ist. Besonders bei der Takelage ist der zeitliche und örtliche Kontext entscheidend – und selbst innerhalb desselben Zeitraums gab es oft mehrere Varianten nebeneinander. Deshalb würde ich nie den Anspruch erheben, alles „richtig“ gemacht zu haben. Vielmehr versuche ich, eine möglichst plausible und in sich stimmige Lösung zu finden, die auf den verfügbaren Informationen basiert.

5 015

Samstag, 18. Oktober 2025, 13:33

Moin,

[..] Vielmehr versuche ich, eine möglichst plausible und in sich stimmige Lösung zu finden [..]
Meiner Meinung nach ist dir das bisher in herausragender Weise gelungen 8)

Ingo
"Kein Kommandant geht fehl, wenn er sein Schiff neben das des Feindes legt"
Lord Nelson


Liste meiner Modellbau-Projekte im Portfolio

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5 016

Samstag, 18. Oktober 2025, 13:40

Hallo Jochen,
Hallo Ingo,

auch euch ein Danke für die netten Kommentare.
Es freut mich sehr, dass nach meiner kleinen Schaffenspause immer noch Interesse an meinem Baubericht besteht.

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5 017

Samstag, 18. Oktober 2025, 17:08

Führung der Großsegelbulins – Ergänzende Darstellungen

Zur Veranschaulichung der Problematik habe ich zwei Darstellungen vorbereitet, in denen der Verlauf der Großsegelbulins entsprechend der Monographie zu sehen ist – einmal in der Draufsicht (am Modell), einmal in der Seitenansicht (Monographie). Die Bulins sind blau markiert, der potenzielle Konfliktpunkt rot.




Die Skizzen sollen helfen, die geometrische Situation besser nachvollziehen zu können – insbesondere da sie, wie ich den Eindruck hatte, nach meinen bisherigen Erklärungen nicht ganz klar war. Eine abschließende Bewertung möchte ich damit nicht vorwegnehmen, sondern lediglich eine Grundlage für die weiteren Überlegungen schaffen.

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5 018

Dienstag, 21. Oktober 2025, 06:34

Führung der Bulins des Großsegels – Boulines de grande voile
Mittlerweile konnte ich die Führung der Bulins des Großsegels mittels Studiums der zeitgenössischen Fachliteratur für meine französische Korvette vom Prinzip her klären. Wichtig dabei ist, das der zeitliche und örtliche Kontext gewahrt ist.

Meine Ergebnisse decken sich mit den Beobachtungen an den zeitgenössischen Modellen im Musée national de la Marine.

Die Bulins der Großsegel wurden durch Schnappblöcke (franz. poulie coupée / engl. snatch block) geführt, die mittschiffs auf dem Deck achtern des Fockmasts angeschlagen und z. B. an der Nagelbank hinter dem Fockmast belegt wurden.
Da die Bulins der Großsegel größerer Schiffe eine beträchtliche Kraft erforderten, waren sie gewöhnlich doppelt geführt. Infolgedessen waren hier am Ende der Spruten Blöcke befestigt über die die Bulins führten. Jedes Mal, wenn die Bulins nicht gebraucht wurden, wurden sie aus den Schnappblöcken ausgefädelt. Inwieweit die La Créole doppelt geführte Bulins besaß, konnte ich leider nicht klären.

Entscheidend ist jedoch ein Befund aus der zeitgenössischen Literatur:

Die Bulins der Großsegel waren nicht dauerhaft angeschlagen, im Gegensatz zu allen anderen Segeln. Sie wurden nur dann angesetzt, wenn sie tatsächlich gebraucht wurden; ansonsten lagen sie auf dem Vorschiff zum Einsatz bereit.
Hierzu die entsprechende Textpassage aus dem Fachbuch:

Quelle: Nouveau Manuel complet de Marine par M. Verdier, Capitaine de Corvette Paris 1837, Seite 175

Dieser Hinweis erklärt auch, warum an den zeitgenössischen Modellen (Takelung ohne Segel) im Pariser Museum stets Bulins an den anderen Rahen zu sehen sind – jedoch nie an der Großrah. Genauso verhält es sich auch beim Originalmodell der La Créole.
Daher werde ich an meinem Modell konsequenterweise keine Bulins für das Großsegel darstellen.
Zur Veranschaulichung zeige ich dennoch hier, wie die Führung der Bulins des Großsegels im Prinzip ausgesehen hat:

Quelle: Manuel du Gabier, Paris 1875

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5 019

Gestern, 19:06

Bulins und Spruten – Boulines et branches
Bei der weiteren Beschäftigung mit den Bulins für meine französische Korvette stieß ich auf eine interessante nationale Differenzierung, die sich nicht nur in der Theorie, sondern auch in der praktischen Modellumsetzung bemerkbar macht.
Mittlerweile konnte ich eine unterschiedliche Handhabung der Bulins bei abgenommenen Segeln zwischen Engländern und Franzosen feststellen. Ziel dieser Maßnahmen war es, ein Verheddern der Leinen zu vermeiden und beim erneuten Anschlagen eine sofortige Einsatzbereitschaft zu gewährleisten. Diese Unterschiede lassen sich gut anhand zeitgenössischer Quellen und Modelle nachvollziehen:

a) Englische Praxis:

Englische Handbücher wie David Steel (1794), Darcy Lever (Sheet Anchor, 1808/1843) und Brady (The Kedge Anchor, 1841) zeigen die Bulins mit eingespleißten Kauschen (Thimbles) durch die die Spruten (Bridles) liefen.
Lever formuliert es ausdrücklich so: „The bowlines are rove through thimbles spliced into their ends, to which the bridles are attached.“


Quelle: The Young Sea Officer's Sheet Anchor - Darcy Lever, Seite 57, 1843

Die Engländer befestigten dementsprechend die Bulins zusammen mit den Spruten an den Rahen im äußeren Bereich, wie nachfolgend abgebildet. Damit war die Verbindung zwar sehr robust, aber weniger flexibel beim Abnehmen der Segel, da Bulins und Spruten als Einheit behandelt werden mussten.


Quelle: K. Schrage – Rundhölzer, Tauwerk und Segel - Seite 144

b) Französische Praxis:
Baudin (Manuel du jeune marin, 1828 ) schreibt, dass die Bulins nach dem Bergen aufgerollt und am Mast oder an der Rah befestigt werden - „roulées et assujetties au mât ou à la vergue“-. Dabei geht er nicht in die Tiefe, wie genau die Bulins an der Rah befestigt werden. Seiner Beschreibung nach ist davon auszugehen, dass die Spruten am Segel blieben. Dafür sprechen auch die Abbildungen im Atlas du Génie Maritime. Dort ist zu sehen, dass die Bulins mit Knebeln an den Spruten befestigt waren – eine Lösung, die ein schnelles Anschlagen und Abnehmen der Segel erleichterten.


Quelle: Atlas du Génie Maritime

Die Bulins der Großsegel sind gesondert zu betrachten, wie bereits in einem Beitrag von mir behandelt.
Am zeitgenössischen Modell der La Créole und an vielen anderen Modellen im Musée national de la Marine kann man die Befestigung der Bulins an den Rahmitten ohne Spruten beobachten. Bei der La Créole sind die Bulins hier bei diesem Beispiel scheinbar mit den Bauchgordings (Augspleiss/Stopperknoten) verbunden und so sicher verstaut.


Quelle: Bildausschnitt vom Originalmodell der La Créole im Musée de la Marine in Paris


Quelle: Bildausschnitt der La Flore, Fregate de 18, Musée de la Marine in Paris, 1806

Aus beiden Praktiken ziehe ich mein persönliches Fazit:

Die Franzosen setzten auf Knebel an den Spruten und befestigten die laufenden Enden der Bulins mittig an der Rah, wo möglich z. B. mit den Gordings – meines Erachtens eine praxisnahe Lösung, die das schnelle Anschlagen erleichterte.
Die Engländer bevorzugten die eingespleißten Kauschen in den Bulins, durch die die Spruten liefen – dauerhaft und solide, aber beim Bergen wohl weniger flexibel.

Damit lässt sich eine klare nationale Differenzierung zeigen, wie auch an vielen anderen Takelelementen.
Letztlich muss ich nun das Detail bei den Bulins der Fockrah, was ich fälschlicher Weise und vorschnell analog der englischen Praxis bereits ausgeführt habe, korrigieren und überarbeiten.


Mir scheint überhaupt wichtig, dass man solche Details nicht zu absolut sehen sollte. Je nach Schiffstyp, Zeitraum oder Quelle können unterschiedliche Lösungen nebeneinander bestanden haben – und deshalb sind auch Varianten, die vom „Schema“ abweichen, nicht automatisch falsch.

Ich freue mich über Rückmeldungen oder Ergänzungen – insbesondere zu französischen Quellen, die die Praxis der Knebelverbindung weiter beleuchten.

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Verwendete Tags

1:48, Holz, J. Boudriot, Korvette, Segelschiff

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