Bulins und Spruten – Boulines et branches
Bei der weiteren Beschäftigung mit den Bulins für meine französische Korvette stieß ich auf eine interessante nationale Differenzierung, die sich nicht nur in der Theorie, sondern auch in der praktischen Modellumsetzung bemerkbar macht.
Mittlerweile konnte ich eine unterschiedliche Handhabung der Bulins bei abgenommenen Segeln zwischen Engländern und Franzosen feststellen. Ziel dieser Maßnahmen war es, ein Verheddern der Leinen zu vermeiden und beim erneuten Anschlagen eine sofortige Einsatzbereitschaft zu gewährleisten. Diese Unterschiede lassen sich gut anhand zeitgenössischer Quellen und Modelle nachvollziehen:
a) Englische Praxis:
Englische Handbücher wie David Steel (1794), Darcy Lever (Sheet Anchor, 1808/1843) und Brady (The Kedge Anchor, 1841) zeigen die Bulins mit eingespleißten Kauschen (Thimbles) durch die die Spruten (Bridles) liefen.
Lever formuliert es ausdrücklich so: „The bowlines are rove through thimbles spliced into their ends, to which the bridles are attached.“

Quelle: The Young Sea Officer's Sheet Anchor - Darcy Lever, Seite 57, 1843
Die Engländer befestigten dementsprechend die Bulins zusammen mit den Spruten an den Rahen im äußeren Bereich, wie nachfolgend abgebildet. Damit war die Verbindung zwar sehr robust, aber weniger flexibel beim Abnehmen der Segel, da Bulins und Spruten als Einheit behandelt werden mussten.

Quelle: K. Schrage – Rundhölzer, Tauwerk und Segel - Seite 144
b) Französische Praxis:
Baudin (Manuel du jeune marin, 1828 ) schreibt, dass die Bulins nach dem Bergen aufgerollt und am Mast oder an der Rah befestigt werden - „roulées et assujetties au mât ou à la vergue“-. Dabei geht er nicht in die Tiefe, wie genau die Bulins an der Rah befestigt werden. Seiner Beschreibung nach ist davon auszugehen, dass die Spruten am Segel blieben. Dafür sprechen auch die Abbildungen im Atlas du Génie Maritime. Dort ist zu sehen, dass die Bulins mit Knebeln an den Spruten befestigt waren – eine Lösung, die ein schnelles Anschlagen und Abnehmen der Segel erleichterten.

Quelle: Atlas du Génie Maritime
Die Bulins der Großsegel sind gesondert zu betrachten, wie bereits in einem Beitrag von mir behandelt.
Am zeitgenössischen Modell der La Créole und an vielen anderen Modellen im Musée national de la Marine kann man die Befestigung der Bulins an den Rahmitten ohne Spruten beobachten. Bei der La Créole sind die Bulins hier bei diesem Beispiel scheinbar mit den Bauchgordings (Augspleiss/Stopperknoten) verbunden und so sicher verstaut.

Quelle: Bildausschnitt vom Originalmodell der La Créole im Musée de la Marine in Paris

Quelle: Bildausschnitt der La Flore, Fregate de 18, Musée de la Marine in Paris, 1806
Aus beiden Praktiken ziehe ich mein persönliches Fazit:
Die Franzosen setzten auf Knebel an den Spruten und befestigten die laufenden Enden der Bulins mittig an der Rah, wo möglich z. B. mit den Gordings – meines Erachtens eine praxisnahe Lösung, die das schnelle Anschlagen erleichterte.
Die Engländer bevorzugten die eingespleißten Kauschen in den Bulins, durch die die Spruten liefen – dauerhaft und solide, aber beim Bergen wohl weniger flexibel.
Damit lässt sich eine klare nationale Differenzierung zeigen, wie auch an vielen anderen Takelelementen.
Letztlich muss ich nun das Detail bei den Bulins der Fockrah, was ich fälschlicher Weise und vorschnell analog der englischen Praxis bereits ausgeführt habe, korrigieren und überarbeiten.
Mir scheint überhaupt wichtig, dass man solche Details nicht zu absolut sehen sollte. Je nach Schiffstyp, Zeitraum oder Quelle können unterschiedliche Lösungen nebeneinander bestanden haben – und deshalb sind auch Varianten, die vom „Schema“ abweichen, nicht automatisch falsch.
Ich freue mich über Rückmeldungen oder Ergänzungen – insbesondere zu französischen Quellen, die die Praxis der Knebelverbindung weiter beleuchten.