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Donnerstag, 17. November 2022, 13:12

Sovereign of the Seas (Airfix, unbekannter Erbauer)

Hätte man die Vasa nicht aus dem Schlamm gezogen, dann wäre sie vielleicht das bekannteste Schiff des siebzehnten Jahrhunderts, die Beherrscherin der Meere, für die der König, der sie erbauen ließ, das Land in eine Finanzkrise stürzte. Die Holländer nannten sie den „Goldenen Teufel“, und wer mehr über die Geschichte dieses Schiffes erfahren will, für den hält das Netz Hekatomben von Material bereit, so dass ich mich hier kurz fassen kann. Mir geht es natürlich auch mehr um das Modell. Dreimal haben sich Plastikbausatz-Firmen an dieses Projekt gewagt, aber im Maßstab 1:250 mutiert das goldene Prunkschiff leicht zum Anlass für Nervenzusammenbrüche seiner Erbauer. Man braucht sehr viel Geduld und eine sehr ruhige Hand, um eines der beiden kleineren Exemplare (Lindberg, Aurora) zu einem vorzeigbaren Modell zu machen. Möglich aber ist das, wie auch ein Baubericht hier im Forum zeigt. Die meisten Freunde des Goldenen Teufels aber werden sich auf das Exemplar von Airfix konzentriert haben, dessen Maßstab etwa bei 1:150 liegt. Ein außerordentlich schönes Exemplar hat der amerikanische Modellbauer Rex Stewart fertiggestellt. Die Bearbeitung des Rumpfes und die Detaillierung der Takelage sind mehr als staunenswert. ich verneige mich vor dem Resultat, wenngleich die Farbgebung und die Verwendung von Blattgold nicht meinem ästhetischen Konzept entsprechen:

https://www.flickr.com/photos/rexstewart…als/48891899381


Ein kleiner Blick in die Geschichte. Wie ist es eigentlich zu den Modellumsetzungen gekommen? Warum sehen sie so aus, wie sie aussehen? Ausgangspunkt und zugleich Hinderungsgrund für eine Modellumsetzung dürfte die wunderbare Zeichnung von Willem van de Velde dem Älteren sein, die gewöhnlich als Morgan-Drawing bezeichnet wird. Man erkennt hier, wie üppig die „Kassetten“ an der Bordwand mit Ornamenten gefüllt sind. Gleichzeitig wird man verstehen, wie schwer die Umsetzung dieser barocken Überpracht dem Graveur der Gussform fallen müsste, zumal letzten Endes auch nicht alle Ornamente vollkommen deutlich zu identifizieren sind.



Auch ein zeitgenössisches Gemälde hilft da nicht wirklich weiter.



Doch dann erscheint im Jahr 1961 mit Björn Landströms „Das Schiff“ ein Werk auf dem Buchmarkt, das (von dieser Wirkung bin ich fest überzeugt) die Gestaltung der uns alle heute noch so wohl bekannten Modellbausätze von Segelschiffen revolutioniert. Landström orientiert sich an historischen Dokumenten wie der Morgan-Drawing, er „malt sie ab“, koloriert sie und, was das Wichtigste ist, vereinfacht sie so weit, dass sie als Vorlage für die Formenbauer bei Airfix und anderswo dienen können. Zusätzlich zu der unten wiedergegebenen Seitenansicht malt er auch den Heckspiegel und zeichnet einen Takelplan




Das letzte der drei SotS Modelle, das von Airfix, ist nun zwar das größte und sicher das beste, aber es kommt mir vor, als hätten die Marketingleute dem Graveur die noch unfertige Form aus der Hand gerissen. Denn tatsächlich fehlen im Bug- und im Heckbereich fast alle Ornamente, obwohl die Detaillierung des Heckspiegels zeigt, dass die technischen Fähigkeiten zu ihrer Umsetzung durchaus gegeben waren. Hier der Heckbereich mit den geradezu unanständig nackten Galerien.



Ich besitze einen unberührten Bausatz und mehrere verbastelte zum Üben und wollte eigentlich meine Karriere als Modellbauer nicht beenden, ohne es einmal mit einer SotS versucht zu haben. Tatsächlich aber habe ich noch nicht einmal konkrete Vorüberlegungen angestellt. Doch dann bemerkte ich etwas im eBay. (Nebenbei gesagt: Ich schaue ich gar nicht mehr so häufig hinein, seitdem die Betreiber die Kategorie Modelle/Plastikmodelle/Segelschiffe aufgelöst haben, wahrscheinlich um die Benutzer zu zwingen, sich größere Mengen von Angeboten anzusehen. Pfui über euch!) Ich habe also einen Bausatz gekauft, der offenbar bereits begonnen war und deshalb zu einem moderaten Festpreis angeboten wurden. Was ich bekam, war schon recht erstaunlich. Jemand hat kräftig Hand an die Teile gelegt, so wie ich es zu tun pflege. Offenbar hat er die fehlenden Ornamente mit einer sehr pastosen Substanz nachzuahmen versucht, dann schwarz überstrichen und anschließend wieder mit Goldfarbe und sehr feinem Pinsel hervorgehoben. Zusätzlich hat er die Fenster ausgeschnitten und mit sehr feinem Drahtgitter hinterlegt. Das macht schon einen Unterschied!



Und gleich dieselbe Gegenüberstellung mit der Galion.





Man kann auch erkennen, dass der unbekannte Erbauer versucht hat, die Ornamente durch sehr dünn und fein aufgetragene Goldfarbe so zu vergrößern und zu ergänzen, so dass sie ihre „Kassetten“ stärker ausfüllen.



Und schließlich noch eine letzte, sehr bemerkenswerte Maßnahme. Der Erbauer hat den Rumpf mit dünnen Streifen einer Holzimitation (womöglich dc-fix oder dergleichen) beklebt, um eine Plankenstruktur herzustellen. Das ist recht ansehnlich geworden.



Nun frage ich mich natürlich, warum ein dermaßen anspruchsvolles und offenbar kenntnisreich begonnenes Projekt aufgegeben wurde. Immerhin schlägt das Modell schon jetzt praktisch alle SotS, die ich bislang im Netz gesehen habe, und mir persönlich gefällt die Farbgebung besser als die bei dem Modell von Rex Stewart. Natürlich ist da das Leben, das dem Modellbau gelegentlich in die Quere zu kommen pflegt. Womöglich ist der unbekannte Erbauer auch an seinen eigenen Maßstäben und Ansprüchen gescheitert. Auch das kommt oft genug vor.
Ich darf jetzt überlegen, was ich mit meinem Fund anfangen werde. Sicher werde ich das Modell nicht in diesem dc-fix-Stil weiterbauen, da ist mir die Plastik-Anmutung doch ein wenig zu stark. Die Ornamente sind auch auf der anderen Rumpfhälfte bereits appliziert, aber noch nicht bemalt. Vielleicht ist es einen Versuch wert, auf den Spuren des unbekannten Erbauers weiterzugehen und seine Technik gegebenenfalls noch zu verfeinern.
Schmidt
Restaurierung eines Werftmodells aus dem Jahre 1912 jetzt als Webseite: http://kaiserfranzjoseph.de/
Über das Bemalen mit Humbrol- und Ölfarben: http://www.wettringer-modellbauforum.de/…9193#post739193

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Donnerstag, 17. November 2022, 19:51

Sehr geiles Teil, danke fürs Zeigen

XXXDAn
... keine Angst, der will doch nur spielen ...



Feinste Ätzteile für HMS Victory 1:100
http://www.dafinismus.de

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Donnerstag, 24. November 2022, 20:02

Hallo Schmidt
Dein toller Kauf wäre mir fast entgangen! Ich habe auch schon 2-3 unfertige Teile bei E-bay erstanden, wurde aber immer maßlos enttäuscht...E-Bay ist verdientermaßen jetzt schon fast tot.

Da hast du ein superglückliches Händchen gehabt, und auch mir gingen viele Gedanken und Geschichten zum Erbauer durch den Kopf...Kopfkino ist oft der schönste Teil am Modellbau für mich.
...und toll beschrieben die Bausatzhistorie.

Eine Idee wäre zumindest eine Hälfte so zu belassen (vielleicht mit ein paar Verfeinerungen) und elegant zu umranden.
LG
Robert

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Dienstag, 6. Dezember 2022, 19:18

Womöglich ist der unbekannte Erbauer auch an seinen eigenen Maßstäben und Ansprüchen gescheitert. Auch das kommt oft genug vor.

Das ist gut möglich, und erinnert zumindest auch an meine meistens überzogenen Ansprüche.
.

Ein solches bereits phanatastisch gesupertes Modell zu ergattern ist für einen ohnehin schon anspruchsvollen Modellbauer ein Volltreffer mit Zusatzzahl.Wäre ich der glückliche Käufer würde alles vermutlich erst mal in der Schachtel auf dem Schrank landen, und irgendwie wieder vergessen.
Damit das teils vollendet werden soll, würde ich mich sofort dran machen, auch wenn es nur ein Rumpfmodell bleiben sollte, was mit einem tollen Sockel, ja auch ganz erstaunlich gut aussehen wird.
Die Planken sehen auf den Fotos schon fertig und gut gelungen aus. Vielleicht aber lassen die sich mit Alkyd-Ölfarbe noch deutlich besser gestalten.
Ich habe stets mehrere Modelle im Bau, oft gibt es längere Pausen. Aktuell im Bau, bzw. in den letzten Monaten immer mal etwas dran gemacht: die hier gezeigten Modelle im Thread "Querbeet". --- Ansonsten viel Gartenarbeit beim Erstellen eines neuen Gartens auf einem komplett runtergekommenen Geröll- und Müll-Grundstückes. usw .

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Dienstag, 13. Dezember 2022, 20:49

Hallo Schmidt,

das sieht ja schon mal toll aus und wird in deinen Händen sicher ein tolles Projekt! Ich freue mich schon. :P

Ich habe von Airfix die Royal Prince und die Sovereign mit den recht zuverlässigen Angaben von Frank Fox verglichen uns witzigerweise erscheinen mir beide Maßstabsangaben in etwa vertauscht: also die Sovereign ist ca. 1:180 und die Prince ca. 1:165. Das tut den beiden recht akkuraten Modellen keinen Abbruch, sie sind meiner Ansicht nach sehr viel besser als jeder Holzbausatz der beiden Schiffe.

Liebe Grüße
Oliver

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Mittwoch, 14. Dezember 2022, 13:03

sie sind meiner Ansicht nach sehr viel besser als jeder Holzbausatz der beiden Schiffe.
Da sprichst du ein schweres Wort gelassen aus! Ich habe mich bislang gehütet, solche Vergleiche anzustellen, denn ich weiß die Arbeit der Holzwürmer zu schätzen, spätestens seitdem ich selbst einmal einen Holzrumpf gebaut habe. Doch in der Tat habe ich auch viele SotSs gesehen, die aussahen wie Tiefkühltruhen mit goldenen Beschlägen. Fatalerweise führt der in der Regel größere Maßstab der Holzmodelle in sehr vielen Fällen nicht dazu, dass die Ornamente detaillierter und filigraner sind, eher ist das Gegenteil der Fall. Wir reden selten darüber, aber es muss in den 60er und 70er Jahren bei den einschlägigen Firmen (Heller, Airfix, Revell und andere) ausgesprochen fähige Erbauer von Urmodellen im Maßstab um 1:150 gegeben haben und ebenso kunstfertige Graveure für die Gussformen.
Schmidt
Restaurierung eines Werftmodells aus dem Jahre 1912 jetzt als Webseite: http://kaiserfranzjoseph.de/
Über das Bemalen mit Humbrol- und Ölfarben: http://www.wettringer-modellbauforum.de/…9193#post739193

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Mittwoch, 14. Dezember 2022, 15:55

Hallo Schmidt,

Da hat sich das Modell ja den passenden Weiterbauer ausgesucht - bin gespannt, was du daraus zaubern wirst^^

Ad Goldfarbe: das sieht mir nicht nach Pinsel aus, sondern nach einem guten/teuren Lackstift (so einem zum Pumpen).
LG,
Mathias

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