Hallo Folks,
nach dem ich von Chris namentlich angepreit (seem. für Anrufen) wurde, habe ich mich noch einmal mit dem Thema befasst, diesmal allerdings losgelöst von der Historie einzig von der Seite der praktischen Seemannschaft aus. Dazu habe ich dann erst einmal alle sich in meinem Regal befindlichen Bücher zum Thema "praktische Seemannschaft auf historischen Handelsseglern" (dem Thema, mit dem ich mich hauptsächlich beschäftige) durchgesehen. Und dann noch ein etwas längeres Telefonat mit dem Besitzer einer Bremerhavener Seilerei (was unter Anderem auch deswegen länger dauerte, weil wir während des Gespräches festgestellt haben, dass wir zur gleichen Zeit auf der "Gorch Fock" gefahren sind...) zur weiteren Klärung geführt. Und die Quintessenz ist folgende:
Für den praktischen Einsatz an Bord, egal ob als stehendes oder Laufendes Gut, ist die Richtung des Schlages total unwichtig. Entscheidend für den Einsatz als stehendes Gut oder laufendes Gut ist die Art des Schlages, also ob das Tauwerk in Trossenscghlag oder Kabelschlag hergestellt wurde. Wobei man grundsätzlich sagen kann, das für laufendes Gut trossengeschlagenes Tauwerk, für stehendes Gut kabelgeschlagenes Tauwerk verwendet wurde. Allerdings kam im Bereich des laufenden Gutes, z. B. bei Fallen, Hangern und ähnlichem auch kabelgeschlagenes Tauwerk zum Einsatz. Besagter Seilereibesitzer sagte mir dann auch noch, dass man bei Naturfaser- und Kunstfasertauwerk heutzutage standartmäßig eigentlich nur noch rechts geschlagenes Tauwerk herstellt, linksgeschlagenes Tauwerk würde er nur auf Anfrage herstellen.
In dem Zusammenhang noch etwas, das Euch als Spezialisten auf diesem Gebiet aber sicherlich bekannt ist: Auf den nordeuropäischen Handelsseglern, wenigstens den kontinentalen, denn von diesen handeln meine Bücher fast ausschließlich, wurde, solange für das stehende Gut naturfasertauwerk verwendet wurde, sogenanntes "wantgeschlagenes" Tauwerk verwendet, das ist Tauwerk im Kabelschlag mit vier Kardelen. Da Drahttauwerk in der Anfangszeit seiner Benutzung noch genau so verarbeitet wurde wie Naturfasertauwerk, liegt der Verdacht nahe, dass auch dieses bis so etwa Mitte des 19. Jahrhunderts ebenfalls vierkardelig war...
Wie gesagt, meine Literatur bezieht sich so ziemlich ausschließlich auf Handelssegler, da aber die praktische Seemannschaft auf Kriegern nicht so wirklich anders war, gehe ich mal davon aus, dass es sich auf diesen ähnlich verhalten hat. Die Tatsache, das in den Marinen der damaligen Zeit für das eine oder andere linksgeschlagenes Tauwerk verwendet wurde, mag also tatsächlich, wie schon von Showrodder angedeutet, seinen Ursprung hauptsächlich im ästhetischem Empfinden irgend eines mehr oder weniger degenerierten Potentaten oder eines ähnlichen Würdenträgers gehabt haben, welches man dann aus Gründen der Tradition einfach so weiter geführt hat, einen praktischen Nutzen hatte es jedenfalls nicht; als zwölfjähriger Angehöriger der ruhmreichen deutschen Seestreitkräfte weiß ich nur zu gut, das eine Marine zu wenigstens zwei dritteln nur aus Tradition besteht... Und um das ästhetische Empfinden o. g. Potentaten zu untermalen, sei hier eine Anekdote über den letzten deutschen Kaiser herhalten: Von Wilhelm II wird kolportiert, das er sich beim Vorbeimarsch eines Musikzuges darüber geärgert habe, das die Posaunisten ihre Züge zu unterschiedlichen Zeiten und obendrein noch unterschiedlich weit heraus zogen. Er soll nach der Parade den entsprechenden Musikmeister zu sich zitiert und angewiesen haben, dass in Zukunft die Posaunisten allesamt zur gleichen Zeit gleichweit herausziehen sollten...
Hagen