Dies ist sozusagen mein Jungfernpost. Ich lebe in Hamburg,
bin Historiker und beschäftige mich in meiner Forschung mit der maritimen
Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts. Historische Segelschiffe haben mich
schon als Kind fasziniert und so ist es wenig verwunderlich, dass ich auch beim
Schiffsmodellbau gelandet bin. Von einigen ‚Jugendsünden‘ abgesehen, habe ich
in den letzten Jahren die
HMS Pickle und die
HMS Pegasus von
Victory Models gebaut. Zwei gut gemachte Bausätze, wie ich finde. Das sieht bei
meinem jüngsten Projekt anders aus.
Ich wollte gerne einen Zweidecker aus dem späten 17.
Jahrhundert bauen. Für solche Schiffe ist das Angebot an Modellbausätzen recht
überschaubar. Die
Friesland von Mamoli, die ich ursprünglich gerne bauen
wollte, war vergriffen (wahrscheinlich kann man sie noch irgendwie in der Bucht
ergattern). Die Wappen von Hamburg hätte bei meinem Wohnort nahegelegen, war
mir aber zu teuer. Ganz schön teuer ist auch die
HMS Mordaunt von
Euromodel. Vor allem aber wusste ich seinerzeit noch nichts von diesem Bausatz.
Daher bin ich schließlich vor anderthalb Jahren bei der
HMS Neptune von
Corel gelandet. Und dieser Bausatz hat
so seine Macken.
Das fängt damit an, dass die historische
HMS Neptune
von 1683, auf die sich der Bausatz beziehen müsste, ein Dreidecker mit 90 Geschützen
war, statt eines Zweideckers mit 58 Geschützen, den uns Corel vorsetzt. Es
dürfte sich demnach bei der Corel-‚Neptune‘ um ein fiktives Schiff handeln.
Denn ich kann mir schwer vorstellen, dass die Bausatz-Designer sich treulich an
einen real existierenden Zweidecker gehalten und ihm dann einen falschen Namen
verpasst haben. Warum sollten sie?
Von englischen Kriegsschiffen dieser Zeit sind meines
Wissens kaum Baupläne und Konstruktionszeichnungen überliefert – während das
National Maritime Museum ja für Schiffe der Royal Navy ab 1750 reiche Bestände
solcher Quellen aufweist. Wer also einen englischen Zweidecker des späten 17.
Jahrhunderts für einen Modell-Bausatz rekonstruieren möchte, muss sich an
zeitgenössische Gemälde und Kupferstiche (z.B. von Willem van der Velde dem
Älteren) und an zeitgenössische Modelle halten. Von den letzteren sind so
einige erhalten (z.B. im National Maritime Museum und in der US Naval Academy
in Annapolis). Es sind oft hervorragende Admiralty Board-Modelle.
An Gemälde, Kupferstiche und Modelle aus dem späten 17.
Jahrhundert haben sich meines Erachtens auch die Designer des Corel-Bausatzes
gehalten. Aber sie haben zum Teil nicht besonders genau hingeschaut. So hat
ihre „Neptune“ beispielsweise ein reines Spiegelheck, obwohl bei größeren
englischen Schiffen dieser Zeit bereits der „round tuck“ mit einer gerundeten
Form unterhalb der Heckgalerie üblich war. Die meisten größeren Schiffe dieser
Zeit hatten ein Poopdeck – die „Neptune“ nicht. Auf zeitgenössischen Modellen
englischer Kriegsschiffe springt ein Gangspill in der Kuhl geradezu ins Auge –
die „Neptune“ hat keines. Hier mal ein Foto von der Abbildung auf dem Karton des Bausatzes:
Nachdem der Bausatz im August 2019 eingetroffen war, habe
ich mich ziemlich schnell entschlossen, an einigen Punkten nachzubessern. Ich
war mir allerdings nicht ganz sicher, ob ich dem gewachsen sein würde, was ich
da anfange. Darum poste ich hier erst jetzt, wo ich relativ zuversichtlich bin,
dass es am Ende ein Schiffsmodell, und nicht nur eine Bauruine geben wird. Was
ich bastele, wird nicht der Nachbau eines bestimmten historischen Schiffes
sein, sondern ein ‚generischer‘ Zweidecker des späten 17. Jahrhunderts, also
ein Modell, das hoffentlich eine ganz gute Vorstellung von diesem Schiffstyp
vermittelt.
Ziemlich am Anfang der Bastelzeit habe ich mich
entschlossen, meinen Zweidecker mit einem Poopdeck zu versehen. Das war im Grunde
relativ leicht umzusetzen. Ich habe die am weitesten achtern gelegenen vier
falschen Spanten jeweils um zwei Zentimeter verlängert. In diese verlängerten
Spanten habe ich Vertiefungen gefeilt, die Decksbalken aufnehmen konnten. Auf
diese Decksbalken habe ich ein falsches Deck aus sehr dünnem Holz/Furnier
geklebt, das ich anschließend beplankt habe:
Mir war aber, als ich mich zu dieser Umbaumaßnahme
entschied, klar, dass sie Konsequenzen nach sich ziehen würde, und vor denen
hatte ich durchaus Bammel. Dem Bausatz liegen der Heckspiegel und die
Seitentaschen als Metallgussteile bei, die auch schon sämtliche Verzierungen
beinhalten. Nach dem Hinzufügen des Poopdecks musste ich Heckspiegel und
Seitentaschen scratchen und auch die ganzen Heckverzierungen selbst gestalten.
Ich war mir keineswegs sicher, dass ich das hinbekommen würde.
Der Bausatz ist an einigen Stellen schlampig gemacht, ebenso
wie die Bauanleitung. Darum würde man auch eine Menge Grund zum Fluchen haben,
wenn man sich vornähme, die „Neptune“ einfach Out of the Box zu bauen. Ein
erstes Beispiel im Bauprozess waren für mich die Stückpfortenschablonen. Diese
liegen dem Bausatz als Metallgussteile bei. Die für das obere Geschützdeck
konnte ich problemlos verwenden. Die für das untere Geschützdeck sind Murks:
Sie weisen an den Außenseiten eine viel zu starke Neigung auf:
Wollte man sie verwenden, müsste man im unteren Bereich bei
jeder der 24 Stückpfortenschablonen mehrere Millimeter Material abfeilen. Das
kam mir sehr mühsam vor. Deswegen habe ich diese Stückpfortenschablonen aus
Holz nachgebaut:
Die Schottwände der Back und des Quarterdecks Richtung Kuhl
liegen dem Bausatz als Metallgussteile bei. Sie sind aber unbrauchbar, weil sie
auf der Unterseite eine größere Krümmung aufweisen als das Oberdeck, auf dem
sie aufliegen müssen. Die Neigung des Decks von der Schiffsmitte zu den
Bordwänden hin ist durch die Form der falschen Spanten vorgegeben:
Ich habe diese Schotts also aus Holz gescratcht. Die
Rohlinge habe ich wiederum aus sehr dünnem Holz/Furnier hergestellt,
anschließend beplankt und habe versucht, ihnen eine Täfelungs-Anmutung zu
geben:
Mir ist bewusst, dass diese Schottwände in Wirklichkeit
nicht gerade waren, sondern elegant geschwungen (das lässt sich in Bauberichten
zur
Prince und zur
Royal William bewundern). Das habe ich mir
nicht zugetraut und daher darauf verzichtet.
Die Galionsregeln und -spanten liegen dem Bausatz als
Metallgussteile bei. Sie haben mir nicht gefallen, weil sie auf mich ‚zweidimensional‘
wirken:
Auch hier habe ich deswegen gescratcht. Meine Galionsregeln
und –spanten bestehen jeweils aus Abschnitten von Holzleisten. Diese habe ich
abgeschrägt und aneinandergeklebt, und zwar jeweils in zwei Lagen. Diese habe
ich dann mit Schleifpapier in die gewünschte abgerundete Form gebracht. An die
Außenseiten der Galionsspanten habe ich zum Schluss mittels dem Proxon aus Holz
gefertigte weibliche Figuren/Seejungfrauen geklebt:
Die dem Bausatz beiliegende Galionsfigur (ein
Metallguss-Löwe) hat mir ebenfalls nicht gefallen:
Ich habe mit dem Proxon einen Löwen aus Holz angefertigt. Er
ist mir nicht besonders gut gelungen. Böse Zungen könnten sogar behaupten, das
sei gar kein Löwe. Er gefällt mir trotzdem besser als sein Bausatz-Kumpel:
Um noch einmal von Schlampereien in diesem Bausatz zu
sprechen: Es liegen aus Metallguss gefertigte Kränze bei, mit denen die
Stückpforten – nun ja – umkränzt werden sollen. ich finde diese Teile auch ganz
in Ordnung und habe sie verwendet. Nur ist es so, dass die Bordwände auf Höhe
des oberen Geschützdecks nicht eben sind, denn dort verlaufen Barkhölzer. Das
heißt, wenn man die Stückpfortenkränze dort ‚einfach so‘ aufklebte, würden sie
teils in der Luft hängen. Man muss sie entsprechend unterfüttern. Dieses
Problem wird aber in der Bauanleitung und den Bauplänen überhaupt nicht
thematisiert. Ich habe die Kränze mit Leistenteilen unterfüttert, die ich
angeschrägt und nach dem Aufkleben mit Schleifpapier in Form gebracht habe:
Die größten Bedenken bei meinen Umbaumaßnahmen hatte ich
wegen des Figurenschmucks am Heck. Das
musste ich ja auch alles scratchen. Mit Holz habe ich es nicht hinbekommen.
Gerettet hat mich Magic Sculpt. Meine Figuren sind im Grunde auch keine
Barockfiguren geworden. Sie würden ebenso gut oder ebenso schlecht in die
Renaissance oder in die Klassizistik passen. Auch sind sie einfach recht grob
geraten. Aber wichtig war mir, dass sie als Kollektiv den Eindruck vermitteln,
den ein solches barockes Schiffsheck vermittelt hat: denjenigen einer Fülle von
vergoldeten (in Wirklichkeit: golden bzw. gelb bemalten) Skulpturen. Und das
leisten meine Magic-Sculpt-Experimente durchaus, finde ich. Die beiden großen
Figuren an den Seiten des Heckspiegels hat meine Frau modelliert. Sie ist
künstlerisch begabter als ich:
Zum Abschluss noch ein paar Gesamtansichten, die den jetzigen
Bauzustand dokumentieren:
Ich hoffe, der eine oder die andere findet das Projekt
interessant. Bei Gefallen gibt es ab und zu Updates. Kritik und Anregungen sind
willkommen!
Beste Grüße
Patrick